Tassilo III. – Intessanter Bericht

06.12.2021

Tassilo dux fortis – Liutpirc virga regalis *
Der erste große Schauprozess in der Geschichte

Vielen Dank an unser Mitglied Jürgen Engelhardt für seinen guten Bericht

Jedes Schulkind in Bayern kennt natürlich den letzten Baiernherzog Tassilo III. aus dem Geschlecht der Agilolfinger, der als Heiliger gilt, sowie den „Kini“ Ludwig II., der ach so schöne Märchenschlösser bauen ließ und in Neuschwanstein von der „Sissi“ träumte. Beiden ist gemeinsam, dass ihr „tragischer“ Abgang nicht ganz freiwillig war und in Bayerns Geschichte eine gewaltige Zäsur hinterließ.

Leben und Wirken von Baiernherzog Tassilo III. wird von der modernen Geschichtsforschung heute etwas anders interpretiert, nämlich nicht unbedingt als der abtrünnige Vasall, der gegenüber Karl des Großen Vaters (Kaiser Karl der Große), dem Frankenkönig Pippin III. die Heeresfolgepflicht abgelehnt hat, so wie es aus den etwas einseitigen Reichsanalen unter Karl dem Großen hervorgeht.

Baierns letzter Stammesherzog Tassilo III. wurde vermutlich um das Jahr 741 in Regensburg geboren. Sowohl das genaue Datum und der Ort seiner Geburt sind ebenso unsicher als auch sein Todestag und der Ort, wo er verstorben ist. Eine Grabinschrift in der zerstörten Basilika des Klosters Lorsch lässt vermuten, dass er dort, fast völlig erblindet, die letzten Jahre seines Lebens als Mönch verbracht habe. Als Todestag nehmen die Historiker den 11. Dezember 796 an.

Der Bayernbund erinnert an diesem Tag, dem Tassilotag, mit einem Gedenkgottesdienst auf der Fraueninsel an den in Bayern als Heiligen verehrten Herzog, der dort im Jahre 782 das Kloster Frauenchiemsee gründete.

Tassilos Mutter Hiltrud war die Tochter des fränkischen Hausmeiers ** Karl Martell aus dem mächtigen Geschlecht der Karolinger, das im damaligen Frankenreich de facto für den bedeutungslosen Merowinger König Childerich III. regierte. Damit erklären sich auch die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen den fränkischen Karolingern und den baierischen Agilolfingern.

Historiker meinen, das Geschlecht der Agilolfinger sei älter als das der Karolinger. Karl Martells Sohn, der fränkische Hausmeier Pippin, später mit päpstlichen Segen als Pippin III. zum König „Rex Francorum“ ausgerufen, sorgte dafür, dass Tassilo, erst siebenjährig, nach dem Tode seines Vaters Herzog Odilo, der die Oberhoheit der Franken hatte bereits anerkennen müssen, das Herzogtum Baiern übernehmen konnte.

 

Im Jahre 757 übernahm Herzog Tassilo .III. die Alleinregierung im „königsgleichen“ Herzogtum Baiern. Er nahm starken Einfluss auf das kirchliche Leben, stiftete zahlreiche (Adels)-Klöster und förderte die Entstehung einer Herzogskirche, die einige Jahre zuvor sein Vater im Verein mit Bonifatius, dem „deutschen Apostel“ zur Gründung der kanonischen Bischofssitze Regensburg, Passau, Freising und Salzburg geführt und damit eine bis heute bestehende Kirchenorganisation geschaffen hatte.

Historiker vermuten, dass die Schaffung dieser „straffen“ Kirchenorganisation seinerzeit dem baierischen Adel gegen den „klerusergebenen“ Herzog Tassilo III. in Opposition gebracht hat und weshalb sich der Adel im Jahre 788 im „Schauprozess zu Ingelheim“ auf die Seite Karl des Großen stellte.

HerzogTassilo fühlte sich „königgleich“, handelte vom Frankenherrscher unabhängig und war der Ansicht, keinesfalls ein Vasall und Lehensmann des „Rex Francorum“ zu sein, obwohl in karolingischen Reichsanalen geschrieben steht, dass Herzog Tassilo im Jahre 757 König Pippin einen Vasalleneid geleistet habe, der ihn auch zur Heeresfolge verpflichtete.

Doch im Jahre 763, so die Reichsanalen, habe sich Tassilo auf einem Feldzug in Aquitanien gegenüber dem König Pippin III, der „militärischen Gefolgschaftsverweigerung“ beziehungsweise der Fahnenflucht („Harisliz“) schuldig gemacht, worauf auch schon damals die Todesstrafe stand. Es liegt die Vermutung nahe, dass der „gottesfürchtige“ Tassilo, der mit seinen Truppen zwar auf dem Sammelplatz erschienen war, aber nicht willens war, weiterhin an der Zerstörung und Plünderung der reichen Klöster und Abteien in Aquitanien teilzunehmen. Er ordnete für seine Truppen den Rückzug an.

In der modernen Geschichtsforschung wird diese Schilderung allerdings aufgrund des fast 30 Jahre später von Karl dem Großen, Sohn und Nachfolger des Frankenkönigs Pippin, inszenierten „Schauprozesses“ in Ingelheim in Zusammenhang mit den damals bekannten politischen Hintergründen angezweifelt.

Würden die schweren Vorwürfe den Tatsachen entsprechen, so wäre Herzog Tassilo sicherlich zeitnahe zur Verantwortung gezogen worden. Tatsache ist aber, dass dem machtbewussten Frankenkönig Karl dem Großen das selbstbewusste Auftreten des bairischen Herzogs überhaupt nicht gefiel.

Und dessen Bündnis mit den Langobarden – Tassilo war mit der Tochter des letzten Langobardenkönigs verheiratet – brachte ihn in Konflikt mit Karl dem Großen.

Als die Franken im Jahre 774 das Langobardenreich eroberten, verlor Baiernherzog Tassilo seinen wichtigsten Bündnispartner. Und nachdem Karl der Große in mehreren grausamen Kriegen die damals noch „heidnischen“ Sachsen unterworfen und christianisiert hatte — im „Blutgericht von Verden“ wurden auf seinen Befehl hin 4500 besiegte Sachsen als Abschreckung exekutiert — gab es nur noch das „stolze“ Herzogtum Baiern, welches seit der Merowingerzeit eine Sonderrolle n im Frankenreich Karls des Großen inne hatte und bisher den Expansionsbestrebungen Karls des Großen noch nicht anheim gefallen war. Das sollte sich nun alsbald ändern, denn Karl der Große duldete keine politischen  Konkurrenten.

Karl der Große forderte 787 Tassilo zur förmlichen Unterwerfung auf. Dieser lehnte das ab, worauf Karl in Baiern einmarschierte. Vom Papst, auf dessen Unterstützung Tassilo gehofft hatte, kam keine Hilfe. Und weil sich auch im Herzogtum selbst Widerstand formierte, musste sich der einst so stolze Agilolfinger beugen und dem Frankenkönig Gefolgschaftseid leisten und erhielt das Herzogtum Baiern nunmehr als Lehen.

Doch die Spannungen zwischen dem mächtigen Frankenkönig Karl (dem späteren Kaiser Karl der Große, dessen Thron im Aachener Dom zu besichtigen ist) und dem Baiernherzog Tassilo blieben bestehen, und so war es nur eine Frage der Zeit, bis der mächtige Frankenkönig zum nächsten und endgültigen Schlag gegen den geschwächten Baiernherzog ausholte.

Tassilo wurde aufgefordert, sich wegen angeblicher Verschwörungen und feindlicher Bündnisse mit den Awaren vor dem Reichstag in der neu erbauten Königspfalz Ingelheim zu verantworten. Dort angekommen wurde Tassilo sofort verhaftet. In einer „Nacht- und Nebelaktion“ waren fast gleichzeitig auf Befehl Karls des Großen auch Tassilos Frau und Kinder verhaftet worden.

Interessanterweise lautete die Anklage nicht auf Hochverrat – dieser wäre kaum zu beweisen gewesen – sondern es musste die angebliche, 25 Jahre zurückliegende Fahnenflucht („Harisliz“) in Aquitanien herhalten. Die Versammlung, darunter viele adlige und bischöfliche Gegner aus Baiern, verurteilte Tassilo III. einmütig zum Tode.

Karl der Große, so ein Chronist, wandelte das Todesurteil angeblich „aus Mitleid und aus Liebe zu Gott und weil der Verurteilte sein Blutverwandter sei“ in lebenslange Klosterhaft um. Der Verurteilte wurde unmittelbar nach dem Urteilsspruch ina Kloster Sankt Goar gebracht und dort zum Mönch „geschoren“ und danach ins Kloster Jumiéges bei Rouen verbracht.

Sechs Jahr später. Im Jahre 794, wurde der sichtlich gebrochene Mönch Tassilo nochmals aus der Klosterzelle an die Öffentlichkeit gezerrt, um auf dem  Reichs- und Kirchentag in Frankfurt in einer „widerlichen Farce“ auf das Herzogtum Baiern samt allem Besitz für sich und seine Familie schriftlich zu verzichten.

Sowohl Tassilos Frau als auch seine Kinder hatte Karl der Große, um eventuell Erbschaftsansprüche zu vermeiden, ebenfalls zu lebenslanger Klosterhaft verurteilt und damit das Geschlecht der Agilofinger, eine der ältesten vornehmen Adelsdynastien, endgültig ausgelöscht. Baierns letzter Stammesherzog starb im Kloster Laurisham, dem heutigen Lorsch. Das Jahr ist nicht genau bekannt, doch wird das Jahr 796 als Todesjahr angenommen. Vier Jahre später, zu Weihnachten im Jahre 800, ließ sich König Karl der Große in Rom vom Papst zum Kaiser krönen,

In der eingangs erwähnten, völlig zerstörten Basilika im Kloster Lorsch befindet sich eine Grabinschrift, die lautet; „Tassilo, zuerst Herrscher, dann König, zuletzt Mönch. Er ist am 11. Dezember gestorben“. Und im „Ökumenischen Heiligenlexikon“ wird Baiernherzog Tassilo III. als „Verlierer und gleichzeitig als präsumtiver Seliger“ genannt.

Tassilo gilt als Heiliger, sein Gedenktag ist der 11. Dezember, an dem der Bayernbund an die Verdienste eines großen Baiern erinnert.

Ende. _________________________________________________________________

* Tassilo, tapferer Herzog – Liutpirc, königlicher Spross

So lautet die stolze Inschrift auf dem Tassilokelch, der im Kloster Kremsmünster aufbewahrt

wird.

** Hausmeier – höchster Staatsbeamte im Frankenreich, direkt unter dem König, übt i,d.R. die tat-

sächliche Macht aus; nachdem sich Hausmeier Pippin III. zum König hatte ausrufen

lassen, schaffte er das Amt des Hausmeiers im Frankenreich ab